All diese Gewalt: Alles ist nur Übergang

All diese Gewalt credit Max Zerrahn

Mit dem Trio Die Nerven hat Max Rieger im vorigen Jahr ein dunkles Meisterwerk abgeliefert. Hält er das hohe Niveau im Solo-Projekt All diese Gewalt?

von Werner Herpell

Vielleicht konnte Max Rieger nach dem lauten, selbstbetitelten Indierock-Monolithen mit Die Nerven aus dem Vorjahr gar keine andere Platte machen als jetzt „Alles ist nur Übergang“ unter dem bewährten Solo-Moniker All diese Gewalt. Es brauchte wohl ein Ausruhen, ein Ausatmen nach all dieser Wut und Verzweiflung, die sich in dem pechschwarzen Meisterstück seiner fantastischen Studio- und Live-Band mit Julian Knoth und Kevin Kuhn ein Ventil verschafft hatte.

Hauchen statt Brüllen

All diese Gewalt Alles ist nur Übergang Cover

Daher haucht der Sänger und Multiinstrumentalist nun die Titelzeile von

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„Etwas fehlt“ lediglich sanft, wo er sie auf einem Nerven-Kracher vermutlich herausgebrüllt hätte. Die überwiegend ruhigen, introspektiven, dabei aber nicht weniger intensiven Rieger-Songs des vierten AdG-Albums sind also eine hervorragende Überleitung zum hoffentlich 2024 erscheinenden nächsten Großwerk des 2010 in Esslingen am Neckar gegründeten Postpunk-Trios.

Dass es auf „Alles ist nur Übergang“ – wie der Albumtitel schon andeutet – ebenfalls um Transzendenz und Tod geht, hat Rieger kürzlich dem „Rolling Stone“ (11/2023) bestätigt: „Auch das schwarze Album der Nerven handelt vom Sterben, aber eher als eine Art gesellschaftliches Phänomen: Da geht es um eine Welt, die vielleicht gar nicht merkt, dass sie stirbt, dass es mit ihr zu Ende geht. Hier geht es mehr um die persönliche Ebene: Irgendwie gibt es mir eine seltsame Ruhe, dass ich weiß, dass alles vorbeigeht. Ich finde das einen sehr tröstlichen Gedanken.“

Verbundene Projekte

Es gibt gleichwohl hier und da hörbare Verbindungen zwischen Riegers Projekten – Songs, in denen All diese Gewalt und Die Nerven in Sound und Stimmung nah beieinander liegen.

„AB AB AB“ etwa, das mit sechseinhalb Minuten längste Stück des neuen Soloalbums, zerrt mit marschierenden Rhythmen, sägenden Gitarren und druckvoll emotionalem Gesang („Wir müssen alles abmontier’n“) – nein, nicht an den Nerven, eher an den Eingeweiden, ehe das Lied nach fünf Minuten in einem langen ambient-artigen Outro wieder zur Ruhe kommt. Ein fantastisches Stück deutschsprachiger Rockmusik, das erneut zeigt, warum Max Rieger ihr derzeit wohl wichtigster, kreativster Sänger und Songschreiber, Gitarrist und Klangmaler ist.

Ebenso ergreifend ist „21 Gramm“, das vom Gewicht der Seele handelt. „Hier hatte ich gleich das Gefühl, dass dieser Zustand der Schwebe, den ich anstrebe, am besten gelungen ist: das Verhältnis zwischen hart und weich“, sagt der Wahl-Berliner.

All diese Gewalt und der tröstende Wohlklang

In der Ballade „Ihr seid nicht allein“ und dem abschließenden Titelsong kulminiert das AdG-Album endgültig zu einer meisterhaften Übung in purer Schönheit – aus plinkernden und seufzenden Gitarren, einem verhallten Klavier und warmen Bass-Tropfen webt der 30-jährige Musiker und Top-Produzent (Casper, Stella Sommer, Ilgen-Nur, Drangsal, Jungstötter) eine behagliche Decke aus tröstendem Wohlklang. Sein insgesamt schon neuntes Album mit Die Nerven und All diese Gewalt in nur rund zehn Jahren weicht damit keinen Zentimeter ab vom Kurs einer kompromisslosen Indierock-Kunst. Rieger rules!

Das Album „Alles ist nur Übergang“ von All diese Gewalt erscheint am 10.11.2023 bei Glitterhouse Records/Indigo. (Beitragsbild von Max Zerrahn)

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